Johannes in Riesi, Italien

 

Hey Johannes, wie geht es dir jetzt gerade?


Ich bin ein bisschen fertig von gestern Abend, wir haben mit den Mitbewohner_innen den Abend verbracht, aber im Allgemeinen geht´s mir gut. Wir haben im Moment zwar rote Zone, das ist für mich ein bisschen anstrengend, aber ich mach das beste draus und warte, dass es besser wird.

 

 

Wo bist du in diesem Jahr und wie ist die Situation dort?

 

Ich befinde mich in Sizilien, Riesi, wir sind wie gesagt im Moment im Lockdown und hoffen, dass die Maßnahmen bald anschlagen. Jetzt gerade befinde ich mich in der „Casa dei Voluntari“, wo wir fünf Freiwilligen leben.

 

 

Wie arbeitest du im Moment, was ist alles möglich und was hast du schon gemacht?

 

Meine Arbeit ist in der Grundschule und in der Küche. Das heißt, ich helfe entweder in der Küche aus, zum Beispiel beim Abwasch. In der Schule helfe ich bei allem möglichen, ich verteile das Essen, desinfiziere die Tische...
Das hat bisher immer bis auf eine Woche funktioniert, da wurde die Schule geschlossen und ich habe stattdessen in der ökologischen Landwirtschaft gearbeitet, das war auch sehr interessant, Straßen ausbessern, Olivenernte und sowas.

 

 

Das heißt, du arbeitest im Moment auch mit italienischen Kindern?

 

Grundschulkindern vor allem. Ich arbeite in der ersten Klasse, da helfe ich mal, was beim Basteln auszuschneiden oder motiviere die Kinder, noch ein bisschen mehr zu schreiben. (Dai, dai, dai!)
Sonst helfe ich als Aufsichtsperson im Schulbus, sorge so ein bisschen für Ordnung, sage den Kindern ab und zu, dass sie jetzt mal nicht herum schreien sollen.

Oder wir machen Musik an und singen dann alle zusammen über so eine richtig schlechte Box im Bus. Es knirscht und ist sehr lustig. Und das ist eigentlich sehr schön. Weil diese Arbeit natürlich eintönig ist, machen wir eben ganz viele Scherze mit den Kindern um die Zeit rumzukriegen. Unsere zwei Touren dauern normalerweise eine Stunde.

 

 

Okay, klischeehafte Frage: würdest du sagen, du hast dich verändert seit du hier bist?

 

Ich schätze schon, dass ich mich verändert habe, wie sehr kann ich dir erst sagen, wenn ich wieder in meinem alten Umfeld bin. Die ganze Konstellation von zuhause wirkt für mich schon soo lange her, weil ich gefühlt schon immer hier bin, also kann ich mir das alles gar nicht so genau vorstellen.

 

 

Gibt es Erlebnisse, die dich als Person in deinem Jahr geprägt haben? Bestimmte Erinnerungen, die dir in den Kopf kommen, wenn du darüber nachdenkst, was so alles passiert ist?

 

Da brauche ich erst mal einen Moment. Das ist alles noch sehr frisch, ich bin ja noch mitten drin und man ist vielleicht noch gar nicht dazugekommen, sich mit allem auseinanderzusetzen, was so passiert ist.

Aber für mich gehören dazu auf jeden Fall die Menschen, die wir hier angetroffen haben. Wir wurden hier ja echt in ein neues Ökosystem geschmissen, ich kenne niemanden von vorher und dafür läuft es ziemlich gut. Man wird herzlich aufgenommen und bekommt zum Beispiel zur Sprache eben auch positives Feedback und Ermutigung.

Die langen Gespräche, die ich mit meinen italienischen Freunden führen konnte, die riesigen Mittagessen mit Grillen, die wir zusammen veranstaltet haben. Meine Arbeit als Alltagsereignis hat mich natürlich auch geprägt, die Kinder und die Arbeit in der Küche.

Und in den Zeiten des Lockdowns war es für mich definitiv Sport und Selbstmotivation, die mir geholfen haben, negative Energie abzugeben.


 

Was ist dein Lieblingsort in deiner Stadt bzw. deinem Dorf?

 

Also ich würde drei Orte nehmen.
1. Der Servizio Cristiano, unser Arbeitsplatz und Wohnort. Einer der wenigen Orte hier wo es wirklich viele Bäume gibt, vor allem Olivenbäume.
2. Die Kirche. Ich bin kein großer Kirchgänger gewesen in Deutschland, eher einmal im Jahr an Weihnachten und das war´s. Aber eine Mitbewohnerin hat mich mal mitgenommen und es ist sehr schön.

Der Pastor ist sehr cool, so Mitte dreißig, den haben wir auch schon in der Bar getroffen und das sind einfach nette Leute, die uns sehr herzlich empfangen haben.
3. Die Da Lucios Bar. Unsere Kneipe. Um jetzt nicht ganz oberflächlich zu klingen, wir haben da sehr viele Leute kennengelernt und Anschluss gefunden. Der Barkeeper ist mega cool, der kennt uns und weiß was wir trinken.. Und generell, ich bin einfach gerne hier. Sizilien ist wunderschön und es ist einfach schön hier zu sein, also kann ich auch meinen Wohnort hier grob als meinen Lieblingsort fassen.

 

 

Was hat dich am meisten überrascht oder was findest du am besten an der italienischen Kultur? Was ist dein Eindruck vom italienischen Leben?

 

Also eine Sache, die mir immer wieder auffällt ist die Sprache, vor allem die Ausdrücke. Zum Beispiel sagt man für „das ist alles derselbe Brei“ hier „das ist alles dieselbe Pasta“. Also wie wichtig das Essen hier ist und wie wichtig die Pasta hier ist. Ich hab seit wahrscheinlich vier Monaten sechs Tage die Woche Pasta gegessen. Und ehrlich gesagt stört mich das gar nicht.

Aber italienische Kultur hat natürlich viel mehr zu bieten als Pasta. Zum Beispiel ist mir aufgefallen, dass uns eigentlich nur freundliche und offene Menschen begegnet sind und da haben wir natürlich echt Glück. Wenn man in die Kneipe geht ist man super schnell mit irgendeinem Fremden im Gespräch und quatscht mit dem seit ner halben Stunde..

 

 

Der erste Unterschied zwischen italienischem und deutschem Alltagsleben, der dir in den Kopf kommt?

 

Der Sonntag. Hier in Sizilien spielt sich der Sonntag, wie ich ihn erlebt habe, so ab: Man steht früh auf, geht mit Freunden in die Bar einen Aperitivo nehmen und vorher noch in die Kirche wenn man mag. Danach geht man nachhause und man isst mit der ganzen Familie zusammen Pasta und sobald man fertig ist macht man vielleicht Mittagsschläfchen und so ab drei oder vier geht man wieder in die Bar mit Freunden. Das ist der sizilianische Sonntag.

Ganz anders als der deutsche Sonntag. Und seit ich den sizilianischen Sonntag kenne, finde ich den deutschen Sonntag irgendwie ganz schön langweilig..

 

 

Weniger spaßiges Thema.. Wie war und ist deine Erfahrung mit Lockdown, roter Zone und allem?

 

Als es im November zum ersten Mal losging waren die ersten zwei Wochen schon echt unangenehm. Ich bin eine Person, für die sozialer Kontakt unerlässlich ist und in dieser Zeit gab es das kaum und auch nichts neues, wir hatten unseren Alltagstrott, durften Gott sei Dank noch arbeiten, aber danach war eben nichts.

Aber in dieser Zeit kam eine neue Freiwillige an, das war wirklich in genau dem richtigen Moment und dann wurde es irgendwie auch wieder besser. Und jetzt sind wir seit zwei Wochen wieder im Lockdown und ich denke zum ersten Mal so „Oh man, das geht mir so ein bisschen an die Substanz..“

 

 

Was hat dich durch den Lockdown gebracht?

 

Sport. Arbeit. Und die Leute um mich herum.

 

 

Das Jahr ist ja jetzt so zur Hälfte vorbei und liegt zur Hälfte noch vor dir. Wir sind ja ein Freiwilligenjahrgang, der definitiv eine besondere und schwierige Erfahrung macht.. Wie nimmst du das wahr und würdest du im Nachhinein sagen, hätte ich mal lieber angefangen zu studieren?

 

(lacht) Nein. Ich bin sehr sehr zufrieden mit meiner Entscheidung, trotz allem hierher gekommen zu sein. Selbst wenn ich das nächste halbe Jahr, was noch kommt, im Lockdown verbringen müsste, würde ich die Entscheidung wieder so treffen.

Wir haben so viel mitgenommen und ganz ehrlich, für uns alle: THE BEST IS YET TO COME. Wir haben einen ganzen Sommer noch vor uns und unglaubliche Erfahrungen bereits hinter uns. Ich bin super zufrieden mit dem, was ich erlebt und getan habe und ich würde alles genauso wieder machen.





(aufgezeichnet im Februar)

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