Lockdown.

Eine kurze Anekdote:

 

"Se non fossi uscita con Giovanni, non avrei preso il Covid.", sagt meine Italienischlehrerin Ilenia. "Allora, questa frase è tipo 3."

(Wenn ich nicht mit Giovanni rausgangen wäre, hätte ich nicht Corona bekommen. Also, dieser Satz ist Typ 3."

Wir lernen Konjunktiv und Kondizionalkonstruktionen im Italienischkurs. In solchen Momenten wird mir klar, in was für einer absolut absurden Zeit wir leben.

Das frisch 18 gewordene Geburstagskind dieses Mal: Luka! Wann ist es denn bitte passiert, dass wir beide erwachsen (oder zumindest volljährig) geworden sind?! Haben wir nicht gestern noch jeden Dienstag im Sandkasten gespielt, zum ersten Mal Harry Potter kennen und lieben gelernt und sind zu deiner Kinder Disco CD durch die Küche getanzt?

Mit dir verbinde ich eine ganze lange Kindheit voller Abenteuer und ich bin SO froh, dass du damals an meinem allerersten Tag in der Rasselbande beschlossen hast, meine Freundin zu sein.

Für dich van Gogh.. was aus sonst? :)
Für dich van Gogh.. was aus sonst? :)

Es stürmt schon wieder draußen, während ich hier gemütlich mit Tee und Schokolade am Schreibtisch sitze und schreibe. Meine Heizung kämpft tapfer den Kampf gegen die schlecht isolierte alte Wohnung mit den hohen Decken, aber es ist beinahe hoffnungslos..

In unserem Innenhof liegt ein herabgefallener Ast. Es ist kälter geworden, auch wenn die Sonne oft noch scheint. Tagsüber sieht es, wenn ich aus meinem Zimmerfenster schaue, oft noch nach Herbst aus, kein Vergleich zu dem deutschen November, aber inzwischen verlasse ich ohne Schal fast nicht mehr das Haus.

Nicht, dass es im Moment besonders viele Gelegenheiten gäbe, sich das Wetter live und in Farbe anzusehen. Auch wenn wir immer versuchen, es uns so hoffnungsvoll und schön wie möglich zu machen.. innerhalb von sieben Tagen von gelber, auf orangene, auf rote Zone - das ist eine heftige Umstellung.

 

An unserem letzten Wochenende in Freiheit war ich mit Freund_innen bei einem kleinen Treffen im Park, wo wir zu acht oder so Tabu, Pantomime und andere gut auf Abstand und mit Maske funktionierende Spiele gespielt haben. Es gibt liebe Menschen hier in der Stadt. Und es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, wenn der Frühling und der Sommer kommt, liegen viele schöne Aktionen vor mir.

Die schlechten und einschüchternden Nachrichten sind manchmal überwältigend. Im Augenblick dürfen wir nicht arbeiten, seit einer Woche und deshalb haben wir jetzt ein paar Tage Einkäufe erledigt, was - glaubt mir! - auf italienisch in einem unübersichtlichen Supermarkt ÜBERHAUPT nicht einfach ist. Trotzdem noch mal eine sehr süße Einsicht in die Art, wie die Residenz in der wir arbeiten, funktioniert. Giacomo kam vorher zu uns, um uns die Liste zu erläutern..

"Ihr müsst Pere Opera kaufen (Birnen der Marke Opera), davon hat L. die Werbung im Fernsehen gesehen und möchte sie jetzt unbedingt haben. Und ihr geht es im Moment nicht so gut, deshalb versuchen wir, sie zufrieden zu stellen... Außerdem nicht nur irgendwelche Taschentücher, sondern auch ein paar Tempos..  A. und C. sehen davon oft die Werbung und fragen dann danach. A. isst nur diese Sorte von Keksen und bei den Bonbons ist es so..."

Es ist rührend, zu sehen, wie sich um die Gäste gesorgt wird, wie an allen Ecken Aufwand betrieben wird, um sie so gut wie möglich zu versorgen und bei Laune zu halten. Wir wissen noch nicht genau, wie und wann und ob wir wieder mit dem Arbeiten anfangen können. Wir bekommen erzählt, dass die Pflegekräfte Überstunden machen, dass es viel zu wenige gibt, dass es den Gästen nicht gut geht und wir können nichts tun. Wir bekommen alle langsam einen Stuben-Koller und wissen auch, dass es gerade jetzt wo es Winter wird umso wichtiger wäre, für die älteren Herrschaften, die uns allen inzwischen ans Herz gewachsen sind, da zu sein.

Seit genau sieben Tagen ist auch die Toskana eine "zona rossa" (rote Zone), in der es verboten ist, sich ohne dringenden Grund aus dem Haus bzw. der Stadt zu bewegen.

Lockdown könnte man auch sagen.

Im ersten Moment ist es nicht so schlimm, denkt man. Einkaufen, sich mit dem Nötigsten versorgen, mit lieben Leuten telefonieren, sich die Zeit mit lesen, stricken (inzwischen auch häkeln - diese Zeit macht mich endgültig zur Rentnerin!) und winterliche Filme gucken vertreiben. Ukulele spielen, kochen, abwaschen, alles möglich.

 

Aber es ist anders. Es fühlt sich anders an als alles, was ich je erlebt habe.

Rausgehen fühlt sich an wie Schwarzfahren. Sich verboten und beobachtet zu fühlen, sobald man das Haus verlässt. Angst haben, kontrolliert zu werden und keine ausreichende Begründung zu haben, warum man es wagt, draußen zu sein. Ist es Begründung genug, wenn man sagt, dass man spazieren geht, weil man sonst wahnsinnig würde? Wo hört in diesen Tagen meine Freiheit auf und wo fängt meine Verantwortung an?

Wir verstoßen gegen die Regeln, jedes Mal wenn wir für die Arbeit einkaufen gehen. Wir gehen zusammen, weil wir es sonst nicht schaffen, die Einkäufe zu tragen. Eine Straßenabzweigung vorm Supermarkt trennen sich unsere Wege, wir halten Abstand, sprechen nicht, wir schauen uns nicht an, wir kennen uns nicht.

Wir betreten den Supermarkt hintereinander, bekommen eine "Fieberpistole" an den Kopf gehalten und machen schweigend unsere Besorgungen. Manchmal laufen wir, jede mit ihrem Einkaufswagen, aneinander vorbei und murmeln uns Fragen zu.

"Weißt du, wo das Mehl ist?"

- "Hinten bei den Keksen, letzte Reihe."

Als ich gestern mit dem Fahrrad durch die leergefegten Straßen gefahren bin, habe ich noch mal besser verstanden, warum die Maßnahmen-Strategie hier  so anders war und ist als in Deutschland.

Die Straßen sind nicht wie sonst, ohne den stetigen Strom von hupenden Autos und Vespas, aber an jeder Ecke stehen schweigende besorgte Menschen, im Eingang ihrer kleinen Supermärkte und Lebensmittelläden, am Tresen ihres Cafés, das seit Generationen von ihrer Familie geführt wird, vor den heruntergelassenen Jalousien von Kiosks und Bars.

Männer und Frauen, die sich Sorgen um die Miete für den nächsten Monat und das Essen für ihre Kinder machen, weil ihre Lebensgrundlage seit März nicht mehr normal funktioniert.

Ein paar wenige Märkte haben auch noch auf, aber nur die nötigsten Lebensmittelstände. Auf den Fotos sehen Sie erstens: Diesen einen Stand, wo es Obst und Gemüse für einen Euro pro Kilo gibt. Und zweitens: Wenn man fast sieben Kilo gesundes Zeug nachhause transportieren muss..


Aber auch wenn alles manchmal absurd und hoffnungslos scheint, sind wir entschlossen, den Winter so gut wir können durchzustehen. Auf Priskas Zimmertisch steht ein kitschiger leuchtender Weihnachtsbaum und auf meinem Schreibtisch steht eine Adventskalenderpostkarte. An dem Abend, als der Lockdown für Sonntag ausgerufen wurde und wir ratlos am Abendbrottisch saßen, haben wir zum ersten Mal Weihnachtslieder gehört. Eine Todsünde vor dem ersten Advent, ich weiß, aber wir hatten es einfach bitter nötig.

In den Straßen leuchten jetzt nach Sonnenuntergang (also ungefähr ab kurz nach vier :/) zwischen den Häusern aufgespannte Lichterketten mit Sternen oder Tannenbäumen - auch unsere Stadt beginnt, sich auf eine ganz spezielle Adventszeit einzustimmen. Die Wochen, die vor uns liegen, sind für uns wieder eine Premiere, der erste Advent alleine, weit weg von zuhause. Wenn wir über Urlaub nachdenken, wiegen wir im Kopf Quarantänetage und Testkapazitäten gegen unsere sehr begrenzten freien Tage auf und hören dann lieber wieder auf, darüber nachzudenken.

So ist es im Moment, aber was soll man machen. Ich sende euch im Herzen ganz viele Sonnenstrahlen und Granatäpfel und drücke euch ganz fest. Bis bald!

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Julian Keller (Montag, 23 November 2020 14:15)

    Schön geschrieben, who would have guessed. Hoffentlich steht ihr das wirklich gut durch. Gerne mehr, macht Spaß zu lesen

  • #2

    Karlheinz (Donnerstag, 26 November 2020 13:59)

    Am besten gefallen hat mir das Konspieinkaufen. Vergesst vorher nicht das Händie auszuschalten und die SIM-Karte rauszunehmen!!!
    Schön, dass du bei der ganzen Kacke deinen Humor nicht verlierst.
    Warum dürft ihr nicht arbeiten? Geht es dabei um EUREN Schutz?

  • #3

    Alina (Sonntag, 28 Februar 2021 11:02)

    Heii Pauliii
    Du kleiner raudi xd
    Ich hänge etwas hinter her aber ich Kampfe mich durch <3
    Wenigstens kannst du bei dem wenigen Straßenverkehr nicht von einer Vespa zu einem Pfannekuchen verarbeitet werden xp

    Liebe Grüße <3