Von Kürbissen, Kunst und Kranksein

Hallo ihr, eine ganz schöne Weile hab ich jetzt hier nichts mehr geschrieben, aber es war eine Menge los. Bevor ich anfange: diesmal hatten in den letzten Tagen und Wochen sage und schreibe DREI wundervolle Menschen Geburtstag, die ich hier erst mal ganz herzlich grüßen möchte!

Zuerst einmal Erik, der Grund warum dieses Geburtstagsfoto in unser Küche ist. Mit dir kann ich stundenlang über Beatlessongs diskutieren, Kaffee trinken und quatschen bis der Arzt kommt. Ohne dich backen ist ganz schön komisch, aber wie du siehst schlage ich mich ganz gut. Alles Liebe!

Dann Charly, meine allerbeste Brieffreundin seit ich schreiben kann! Die mich mein ganzes Leben lang kennt und trotzdem gern hat und die einfach wunderbar ist. Danke dafür, dass wir immer wieder wenn wir zusammen sind die allerschönste Zeit haben und ich freue mich schon, wenn du kommst, um das auch hier zu tun!

Und schließlich Mattis, mein herzallerliebster Seeräuber und mein wunderbares Patenkind! Unglaublich, dass du jetzt schon fünf bist, Großer. Ganz viele liebe Grüße nach Berlin und wenn ich zurückkomme, machen wir zusammen richtig leckere italienische Pizza, einverstanden?

Palazzo Vecchio, Firenze, im herbstlichen Nachmittagslicht
Palazzo Vecchio, Firenze, im herbstlichen Nachmittagslicht

Was ist passiert? Ich denke, über die steigenden Zahlen, Einschränkungsmaßnahmen und Sorgen muss ich hier nicht ausführlicher schreiben, das habe ich hier, das habt ihr bei euch, das kennen und darunter leiden wir alle. Natürlich habe ich Angst vor dem Winter.

 

Trotzdem gibt es auch schöne Dinge, von denen es sich zu erzählen lohnt. Der Herbst als gemütliche Jahreszeit des Drinnenbleibens und Teetrinkens ist längst voll angekommen - grauer Himmel, Nieselregen und frühes Dunkelwerden gibts auch hier. Genauso aber Kastanienalleen, bunte Herbstblätter und Kürbisse! Ich habe es trotz allem geschafft, mich ein klein wenig zu sozialisieren und so war ich letzte Woche mit einem Erasmus-Freund im Park Cascine und im Museo Palazzo Vecchio.

Ich denke, ich werde hier zu einem späteren Zeitpunkt auch mal was touri-mäßiges schreiben, aber vorab schonmal: da solltet ihr unbedingt hin.

Im Park Cascine gibt es jeden Dienstag Vormittag einen riesigen Markt, wo wirklich alles, von Kleidung, Weinpflanzen und Kakteen über Obst, Gemüse und Honig bis hin zu Kanarienvögeln, Schildkröten und Mäusen zu kaufen gibt (was davon zu halten ist, sei da mal so hingestellt).

Das erste, was man im Palazzo Vecchio betritt, ist der "Saal der Fünfhundert". Er ist atemberaubend mit seinen zwei riesigen Wandgemälden, die große Schlachten, massige Muskelprotze und pummelige Pferde zeigen und der Decke, die ganz mit kleineren Ölgemälden bedeckt wurde, sodass man zwangsläufig nach ein paar Minuten vom ganzen beeindruckt nach oben schauen Nackenschmerzen bekommt.

Der ganze Palazzo ist ein Labyrinth aus Gängen und Räumen mit hohen Decken, deren Wände bis auf den letzten Zentimeter vollgepinselt sind mit unglaublicher Kunst. Am besten hat mir der Raum über die vier Elemente gefallen, einfach wunderschön.

Der Raum der Elemente. Hinter mir sichtbar Erde (links) und Feuer (rechts).
Der Raum der Elemente. Hinter mir sichtbar Erde (links) und Feuer (rechts).

Wenn man durch diese Räume läuft wird einem irgendwann klar, dass diese Werke dort, an genau dieser Decke, genau dieser Wand, die man mit ausgestrecktem Arm berühren könnte, schon seit über einem halben Jahrtausend sind. Es wäre das coolste auf der ganzen Welt, aus so einem Portrait auf die Jahrhunderte hinaus blicken zu können, beobachten zu können, wie ein steinreiches Kaufmannsgeschlecht und politische Intrigen zu Absperrbändern und Infotafeln wurden..

Außerdem habe ich eine sehr nette WG kennengelernt, von einer jungen Frau gehört, die jemanden zum Deutsch-Italienisch lernen sucht und Insider Tipps zum Second Hand Shoppen in Florenz bekommen.

Es fühlt sich gut an, wenigstens ein paar Menschen in dieser Stadt zu kennen, zu wissen, dass da draußen nicht nur Herbstwetter und fremde Straßen, sondern auch allmählich ein paar vertraute Gesichter und hilfbereite Bekannte warten. Das ist ziemlich wichtig für diesen Winter, der jetzt kommt, glaube ich.

Die letzten vier Tage sind wir als WG aber zuhause geblieben, denn mit dem Herbst kommt (ihr könnt es erraten) auch die erste Erkältungs- und Grippewelle um die Ecke, nur dass es dieses Jahr nicht ganz so selbstverständlich und sorglos ist. Trotzdem war es ganz okay, nach einer anstrengenden Arbeitszeit ein paar zusätzliche Tage einfach nur zum Gesundwerden und lesen zu bekommen.

Deshalb haben wir die freie Zeit mehr oder weniger leidend genossen und Hallowe- ich meine natürlich den REFORMATIONSTAG sehr gebührlich mit Kürbismuffins und Aushöhlaktion gefeiert.

Heute Vormittag haben wir uns dann testen lassen, alle negativ, und waren Nachmittags in der Stadt. Während Priska und Gesa im Palazzo Vecchio waren, habe ich in einem sehr schnieken Café direkt davor gesessen, gelesen, Briefe geschrieben und zum ersten Mal in meinem Leben eine echte italienische "cioccolato caldo" (heiße Schokolade) getrunken.

Kein Vergleich zum Kakao, sondern tatsächlich wie geschmolzene Schokolade oder flüssiger Schokoladenpudding - sehr dekadent und einfach herrlich.

Ab morgen werde ich auf einer neuen Station arbeiten, "Modulo blu", sodass ich auch von der Arbeit in ein paar Wochen mehr zu erzählen habe. Was ich bisher weiß, ist, dass die Station im hintersten Teil des Gebäudes abgeschottet und isoliert liegt, dass die Tür aufs Treppenhaus nur mit Code zu öffnen ist und dass ich dort mit Menschen mit Demenz, Alzheimer und anderen mentalen Erkrankungen arbeiten werde. Ich habe ein kleines bisschen Angst davor.

Ich wäre fast ganz gerne auf Bia, meiner alten Station geblieben. Dort kenne ich die Menschen, weiß, wer den Kaffe stark oder mit 80 Prozent Milch haben will, weiß, wer einen Spaziergang braucht um wieder gute Laune zu bekommen, vor wem ich mich in Acht nehmen muss und wer Hilfe braucht, obwohl er/sie es niemals zugeben würde.

All das lerne ich ab morgen wieder ganz von vorne. Ich bin wieder die "Neue", ahnungslos und habe wieder diese Tage vor mir, wo ich mehr Zuschauerin als Unterstützung bin und diese Momente, wo ich mich unbehaglich fühlen werde, Momente wo ich Fehler machen werde.

Warum also nicht da bleiben, wo ich mich auskenne, wo ich mich sicherer fühle? Weil ich sonst nicht hier wäre. Ich bin in den letzten zwei Monaten schon so oft ins kalte Wasser gesprungen, ich plane nicht, damit aufzuhören.

Brunnen am Palazzo Vecchio. So dunkel ist es hier ungefähr um kurz nach sechs. Und es wird noch anderthalb Monate immer dunkler!!
Brunnen am Palazzo Vecchio. So dunkel ist es hier ungefähr um kurz nach sechs. Und es wird noch anderthalb Monate immer dunkler!!

Jetzt ist es Abend und längst dunkel, ich habe Kerzen angezündet und werde mir gleich einen  Tee kochen gehen, um die Fotos für diesen Eintrag herauszusuchen. Tut mir leid, dass es ein bisschen kurz und unorganisiert ist, das hier ist die erste produktive Handlung seit tagelangem Kranksein (und Badputzen heute morgen), also verzeiht mir :)

Bis zum nächsten mal, ganz viele warme Grüße (die Heizung funktioniert inzwischen quasi einwandfrei) und bis bald!

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Kommentare: 2
  • #1

    Magnus (Montag, 16 November 2020 07:18)

    "Ich bin in den letzten zwei Monaten so oft ins kalte Wasser gesprungen, ich plane nicht, damit aufzuhören." - So ein Satz, stark, unverblümt, hoffnungsvoll und mutig, ist genau das, was ich heute Morgen brauchte. Grazie mille

  • #2

    Karlheinz (Donnerstag, 26 November 2020 11:02)

    Ich freue mich schon darauf, wenn wir dich besuchen und du unsere Stadtführerin sein wirst.