Arrivalseminar und la WG

Hallo ihr Lieben,

erst einmal vielen vielen Dank für die ganzen Kommentare und Nachrichten!!! Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr es mich freut, von euch zu hören, zu lesen, was zuhause so los ist und zu sehen, dass ihr Lust habt, mein Leben hier so ein bisschen mitzubekomen. Da macht das Schreiben noch tausendmal mehr Spaß :)

Das Seminar in den waldensischen Bergdörfern Torre Pellice und Luserna San Giovanni liegt jetzt hinter uns. Wir waren ungefähr fünfzehn Jugendliche zwischen siebzehn (haha) und fünfundzwanzig Jahren. Wir haben uns kennengelernt, unsere Wünsche, Ängste und Fähigkeiten reflektiert, Uno gespielt und tatsächlich jeden Tag Pasta gegessen.. nicht, dass ich da ein Problem mit hätte ;)

Wir haben eine Führung durch die Waldenser Dörfer bekommen und über die Geschichte dieser Gemeinschaft gelernt, die schon lange vor der Reformation (seit ungefähr 1100) die katholische Kirche für ihren Materialismus und den elitären Klerus kritsierte und trotz Unterdrückung und Isolation die Jahrhunderte durchlebte.

Einer der Grundsätze der waldensischen Kirche ist Bildung. Lange bevor die Bibel zum ersten Mal vollständig übersetzt wurde, wurde nach der Arbeit auf dem Feld oder dem Hof allen Kindern und Erwachsenen, Männern und Jungs wie Mädchen und Frauen das Lesen beigebracht, sodass sie keinen Priester zwischen sich und Gott brauchten, sich selbst bilden und unabhängig urteilen konnten.

 

Den Tag darauf haben wir in Turin verbracht, erst eine Stadtralley mit allen wichtigen Monumenten (danach konnten wir nicht mehr laufen) und danach Freizeit - also für unsere Gruppe einstimmig Chillen im Park, direkt am Fluss. Kleine Erdkunde-Frage: Welcher Fluss fließt durch Turin? Richtig! - der Po ;)

Nico, eine sehr liebe Freiwillige, die jetzt in Turin lebt, schwärmte schon davon, wie gut man in diesem Park laufen gehen könne und wir scherzen sehr kreativ und erwachsen, dass sie uns echt am Po vorbeiginge..

An diesem letzten Abend waren wir essen. Und - Oh mein Gott, alles, was man über die italienische Küche sagt, ist wahr. Ich hätte nicht gedacht, dass Essen SO glücklich machen kann :D

In einem alten typisch italienischen Haus, die Hintertreppe hoch im ersten Stock lag das von unseren Leiter_innen ausgewählte Restaurant, geführt von einem entzückenden älteren italienischen Paar, ein echter Geheimtipp. Als wir nach den sage und schreibe SIEBEN VORSPEISEN, die von der Italienerin serviert wurden, die darauf folgende unfassbar leckere Pasta nicht ganz aufessen konnten, blickte sie uns mit einem so herzzerreißenden Entsetzen an, dass wir uns sehr schuldig fühlten.

Hier zu sehen: 1. Uno spielen im Gemeinschaftsraum 2. Unsere Mitfreiwillige Friedi vor ihrem Zimmer, winkend. Wir haben den Flur runter gewohnt, hatten aber keinen Balkon. Frechheit. 3. Unsere Truppe auf Wanderschaft durch die Waldensischen Bergdörfer. 4. Mitten in Turin. 5. Priska und ich bei einem Glas Weiswein nach dem besten Essen meines Lebens. An diesem Abend war ich sehr sicher, dass ich niemals wieder Hunger haben würde.

 

Und Donnerstag Mittag ging es dann los. Mit den Bus ins nächste Dörfchen, mit dem Zug nach Turin, von Turin nach Florenz. Dort am Bahnhof Firenze Santa Maria Novella holte uns unser Tutor ab, ein großer, schmaler, freundlicher aber so gut wie nicht Englisch sprechender älterer Herr namens Giacomo, mit dem Ziel, sofort am Bahnhof den notwendigen Coronatest zu machen und direkt in die zwei bis dreitägige Quarantäne zu starten solange bis das Testergebnis da ist (in der Toscana können Reisende bei der Ankunft einen kostenlosen Test machen). Aber denkste, als ob das so einfach wäre!

Ich wurde aufgrund meiner geringen aber immerhin vorhandenen Italienischkenntnisse vorgeschickt und nachdem wir (das heißt, die Krankenschwestern und ich) endlich geklärt hatten, welcher mein Vor- und welcher mein Nachname ist, blickte mich eine von ihnen plötzlich sehr fassungslos über den Rand meines Personalausweises an.

"You´re not eighteen."

-"Ähh, yes."

"You´re underage."

- "Yes?"

"You can´t do the test."

-"Ähh, what?"

Nach viel missverständlicher Kommunikation kristallisierte sich die Lage: Giacomo hatte keine Ahnung gehabt, dass ich noch nicht 18 war, genausowenig wie ich eine Ahnung gehabt hatte, dass ich eine Perso-Kopie sowie eine Einverständniserklärung meiner Eltern brauchte, um einen Test zu meiner und der Sicherheit anderer Menschen zu machen. Ganz großes Kino.

Mit gemischten und vorrangig erschöpften Gefühlen der erste Abend in der neuen Wohnung. Giacomo hatte sehr rührend für unsere folgenden Quarantänetage eingekauft; Pflanzenmilch, Gemüse, das volle Programm. Nur.. das Salz hatte er vergessen. Ein kurzer Moment größter Verzweiflung, bis wir herausfanden, dass Knoblauch den Job auch ganz gut macht - und davon haben wir reichlich.

 

Gestern bin ich also, während Gesa und Priska schon in Quarantäne waren, mit dem Bus in die Stadt gefahren und habe (endlich mit allen wichtigen Dokumenten versorgt) den Test gemacht - eine sehr unschöne Erfahrung übrigens. Mit Salz und Weißwein im Gepäck zurück nachhause gefahren. Mit den Öffentlichen und dem sehr.. sagen wir mal leidenschaftlichen italienischen Straßenverkehr dauert das ungefähr eine halbe Stunde.

 

Jetzt aber zu den wirklich wichtigen Dingen (und danach bin ich auch fertig für heute, versprochen). Das ist das Haus, in dem wir wohnen:


Unsere Wohnung ist im Erdgeschoss, hat drei Zimmer, Küche, Bad und nicht einen, sondern DREI kleine Balkone! Im Moment sieht es noch so aus, als würden wir erst mal zu dritt bleiben, aber möglicherweise kommt irgendwann im Herbst oder Winter noch jemand dazu.

Unsere Wohnung, ja das ist so ein Thema für sich. Sie ist geräumig, ziemlich hell, gemütlich und hat sehr stilvollen Steinfußboden (das waren die guten Eigenschaften). Aber es ist eben auch eine Wohnung, in der vermutlich seit sehr vielen Jahren Freiwillige leben. Die Badezimmertür lässt sich nicht abschließen, wenn man nicht sanft genug mit der sehr eigenwilligen Türklinke umgeht, hat man sie in der Hand. Die Küchenlampe flackert, die Wände sind voller Flecken, die grünen Jalousien sind absolut unbeweglich. Wenn man gleichzeitig den Ofen und die Waschmaschine benutzen möchte, fliegt die Sicherung raus und der Strom ist erst mal weg und in meiner Zimmertür befindet sich ein Golfball-großes Loch, als hätte jemand einen Einbruchsversuch gewagt, bewaffnet mit nichts als einem Baseballschläger..

Aber es ist unsere erste eigene Wohnung und wir lieben sie. Ihre Macken sind ihr Charakter und für uns bedeutet sie Freundschaft, Selbstständigkeit und Freiheit. Es ist, als könnten wir die Wände flüstern hören, von all den Geschichten, die sich hier abgespielt haben, von den Kulturen, die hier aufeinandergetroffen sind und von all den Freundschaften, die hier entstanden. Und von allen Erinnerungen, die wir einmal an diese Räume haben werden.

Wir machen hier die Regeln und wir füllen diese Räume mit Leben. Ich kann es kaum erwarten. Fotos von meinem Zimmer folgen, wenn ich mit der Einrichtung zufrieden bin.

Und das sind wir! von links nach rechts: Gesa, ich und Priska :)
Und das sind wir! von links nach rechts: Gesa, ich und Priska :)

Das wars für heute, wenn ich hier das nächste mal was schreibe, gibt es hoffentlich mehr als nur Quarantäne-Anekdoten zu erzählen. Fühlt euch gedrückt und bis dann!

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Kommentare: 4
  • #1

    Junia (Sonntag, 13 September 2020 11:10)

    Hello Liebes!

    Es ist so schön das von dir zu lesen. Aber was lese ich denn da? Deine Beschreibung von deinem neuem Zuhause erinnert mich ein wenig an eine gewisse Biographie, die ich von dir geschenkt bekommen habe. :D

    Sag uns bescheid, wenn du der Pasta leid bist!

  • #2

    Julia (Montag, 14 September 2020 15:32)

    Superlieb sehen deine Mitbewohnerinnen aus! Ich wünsche euch eine tolle Zeit zusammen.
    Halt uns auf dem Laufenden und zeig auch gerne Mal die Zimmer :)

  • #3

    Karlheinz (Freitag, 18 September 2020 07:50)

    Moin Paula,
    mich interessiert natürlich nur das Loch in der Wand. Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.
    Sind die Wände denn aus Pappe?
    Und an wen erinnert mich bloß Priska?
    Und wieso gibt es im Erdgeschoß Balkone?

  • #4

    Kicker, Lord of Glencoe (Dienstag, 22 September 2020 04:50)

    Grüezi und hallo, juon porno
    Zuerst einmal, tschuldigung für dieses unsägliche Wortspiel zum Einstieg. Es überkam mich. Freut mich zu, dass es dir bisher gut ergangen ist in bella Italia. Beim sichten der Bilder wird man schon so ein wenig neidisch, gerade wenn man Firenze so sieht. Da bekommt man leichtes Fernweh. Ich möchte einen Erklärungsversuch starten, weshalb die Tür ein solches Loch vorweist. Assassinare bedeutet, im Gegensatz zu dem was man vermutet denkt man ans englische assassinate, meucheln, ermorden, verunstalten, aber auch steinigen. Was folglich nahe legt, die Tür wurde vermutlich per Steinigung verunstaltet. Assassiniert. Von einem Assassinen. Ich würde an der Stelle einen Gag der sich auf die Videospielreihe Assassins Creed bezieht machen, aber bis ich den dann erklärt habe ist Ostern. 2025. Ein wenig schmunzeln muss ich ja noch über die Tatsache, dass der corona test ab 18 ist. Dabei wird man sich was gedacht haben. Im besten Fall. So, bevor das ganze hier textliche Dimensionen von allen drei Herr der Ringe Büchern annimmt, schließe ich diesen Kommentar. Halt die Ohren steif, verpass dir keine überdosis pasta und Weißwein. Grüß mal den Rest der da so rum streunt. Einfach weils geht. So, Abschluss jetzt. Ende. Fin.